Versagung des Vorsteuerabzugs bei Nachweis einer Beteiligung an
Steuerhinterziehung3. September 2020
Liegen die allgemeinen
Voraussetzungen für einen Vorsteuerabzug des Unternehmers vor, darf der
Vorsteuerabzug nur dann versagt werden, wenn der Unternehmer das
Vorsteuerabzugsrecht in betrügerischer Weise oder missbräuchlicher Weise
geltend macht.
Außerdem hat der Bundesfinanzhof
(BFH) zur Umsatzsteuerfreiheit bei innergemeinschaftlichen Lieferungen
entschieden, dass die Umsatzsteuerfreiheit trotz fehlender Voraussetzungen nur
dann aufgrund des gesetzlichen Vertrauensschutzes gewährt werden kann, wenn der
Unternehmer die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmannes bei der Überprüfung der
Angaben des Abnehmers angewendet hat.
Hintergrund: Ein
Unternehmer kann die ihm in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer
geltend machen, wenn die Leistung für sein Unternehmen erbracht wird und wenn
eine ordnungsgemäße Rechnung vorliegt.
Lieferungen an andere Unternehmer
innerhalb der EU sind grundsätzlich umsatzsteuerfrei, wenn der Abnehmer eine
gültige Umsatzsteuer-Identifikationsnummer verwendet und wenn die
Voraussetzungen der Umsatzsteuerfreiheit vom liefernden Unternehmer
nachgewiesen werden. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, gewährt der
Gesetzgeber aus Gründen des Vertrauensschutzes die Umsatzsteuerfreiheit, wenn
der Abnehmer unrichtige Angaben gemacht hat und der liefernde Unternehmer die
Unrichtigkeit der Angaben trotz Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht
erkennen konnte.
Sachverhalt: Die Klägerin
unterhielt einen Getränkegroßhandel. Im Jahr 2009 lieferte die R-GmbH Getränke
an die Klägerin, die diese an S weiterlieferte, der sie wiederum an die R-GmbH
weiterlieferte. Die Klägerin machte die Vorsteuer aus der Rechnung der R-GmbH
geltend, die das Finanzamt unter Hinweis auf ein sog. Umsatzsteuerkarussell
nicht anerkannte. Außerdem bezog die Klägerin Getränke von der B-GmbH, die
unversteuerte Getränke zu günstigen, aber noch marktüblichen Preisen verkaufte.
Schließlich eröffnete die Klägerin
am 14.6.2010 Geschäftsbeziehungen zu der L-Gesellschaft aus Luxemburg. Die von
der L-Gesellschaft angegebene Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ließ die
Klägerin durch das Bundeszentralamt für Steuern am 16.6.2010 überprüfen, das
die Gültigkeit der Nummer bestätigte. Am 24.6.2010 wurde die Nummer ungültig.
Am 8.7.2010 lieferte die Klägerin an die L-Gesellschaft. Das Finanzamt versagte
die Umsatzsteuerfreiheit, weil die Getränke tatsächlich nicht nach Luxemburg
geliefert wurden, sondern in Deutschland ausgeliefert wurden und weil die
Umsatzsteuer-Identifikationsnummer ungültig gewesen war.
Entscheidung: Der
Bundesfinanzhof (BFH) erkannte den Vorsteuerabzug aus den Rechnungen R-GmbH und
der B-GmbH an, versagte aber die Umsatzsteuerfreiheit für die Lieferungen an
die L-Gesellschaft in Luxemburg:
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Der Vorsteuerabzug aus den
Rechnungen der R-GmbH ist zu gewähren, da die R-GmbH an die Klägerin geliefert
hat und ordnungsgemäße Rechnungen vorliegen. Das Recht auf Vorsteuerabzug wäre
nur dann zu versagen, wenn es in betrügerischer Weise oder missbräuchlicher
Weise geltend gemacht wird. Dies wäre der Fall, wenn der Unternehmer entweder
selbst eine Steuerhinterziehung begeht oder wenn er weiß oder wissen müsste,
dass er an einer Umsatzsteuerhinterziehung teilnimmt. Hierfür gab es im
Streitfall aber nicht die erforderlichen Anhaltspunkte. Insbesondere war nicht
ersichtlich, dass eine Steuerhinterziehung der R-GmbH vorlag. Allein der
Umstand, dass die Getränkelieferungen im Kreis erfolgten, nämlich von der
R-GmbH an die Klägerin und von dieser über die S an die R-GmbH, spricht nicht
gegen eine Lieferung und spricht damit nicht für eine Steuerhinterziehung oder
Beteiligung an dieser. -
Der Klägerin stand auch die
Vorsteuer aus den Lieferungen der B-GmbH zu. Es gab keine Anhaltspunkte dafür,
dass es sich bei den Lieferungen um Scheingeschäfte handelte. Vielmehr wurden
die Lieferungen in üblicher Weise abgewickelt. Auch insoweit wurde eine
Steuerhinterziehung nicht festgestellt. Der Vorsteuerabzug der Klägerin kann
nicht mit der Begründung versagt werden, dass möglicherweise die Umsatzsteuer
für einen der vorausgegangenen Getränkeverkäufe nicht an den Fiskus entrichtet
wurde. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Klägerin dies hätte wissen müssen
oder gewusst hätte; dies wurde aber nicht festgestellt. -
Jedoch waren die Lieferungen
der Klägerin an die L-Gesellschaft in Luxemburg nicht umsatzsteuerfrei. Denn
tatsächlich wurden die Getränke nicht nach Luxemburg geliefert und damit in
einen anderen EU-Staat, sondern in Deutschland ausgeliefert. Der Klägerin steht
der gesetzliche Vertrauensschutz nicht zu, da die Klägerin nicht die nötige
Sorgfalt bei der Überprüfung der Angaben der L-Gesellschaft hat walten lassen.
Sie hat nämlich lediglich bei Anbahnung der Geschäftsbeziehung im Juni 2010 die
Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der L-Gesellschaft abgefragt, nicht aber
unmittelbar vor der Ausführung der ersten Lieferung im Juli 2010 und auch nicht
in regelmäßigen Abständen danach. Sie hätte ansonsten feststellen können, dass
die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer bereits im Juni 2010 und damit vor der
Ausführung der ersten Lieferung im Juli 2010 gelöscht worden
war.
Hinweise: Zwar hat die
Klägerin hinsichtlich des Vorsteuerabzugs gewonnen; dies lag aber daran, dass
das Finanzamt nicht genügend Feststellungen zu einer möglichen Beteiligung an
einer Steuerhinterziehung getroffen hatte.
Bei der Umsatzsteuerfreiheit für
innergemeinschaftliche Lieferungen ist darauf zu achten, dass die Angaben des
Abnehmers zu seiner Umsatzsteuer-Identifikationsnummer regelmäßig und
unmittelbar vor der Lieferung überprüft werden sollten. Dies erhöht die Chance,
dass man unrichtige Angaben bemerkt oder aber sich zumindest auf
Vertrauensschutz berufen kann.
BFH, Urteil vom 11.3.2020 –
XI R 38/18; NWB