Richtsatzsammlung der Finanzverwaltung als Schätzungsgrundlage22. March 2023
Der Bundesfinanzhof (BFH) hat Aufklärungsbedarf hinsichtlich der
Richtsatzsammlung der Finanzverwaltung, die bei einer formell ordnungswidrigen
Buchführung häufig als Grundlage für die Schätzung des Gewinns dient. Er hat
deshalb das Bundesfinanzministerium (BMF) zum sog. Beitritt in einem anhängigen
Revisionsverfahren aufgefordert, damit es zur Richtsatzsammlung Stellung nehmen
kann.
Hintergrund: Ist die Buchführung
nicht ordnungsgemäß, kann der Gewinn geschätzt werden. Eine der gängigen
Schätzungsmethoden ist der sog. äußere Betriebsvergleich, bei dem die
Gewinnaufschlagsätze anderer Unternehmer derselben Branche herangezogen werden.
Diese Richtsätze werden in einer Richtsatzsammlung dokumentiert, die von der
Finanzverwaltung herausgegeben wird.
Sachverhalt: Die Klägerin
betreibt eine Diskothek, deren Buchführung in den Streitjahren 2013 und 2014
formell ordnungswidrig war. Der Außenprüfer nahm daher eine Nachkalkulation vor
und verprobte die Getränkeumsätze; auf diese Weise ermittelte er einen
Rohgewinnaufschlagsatz von 400 %. Die Klägerin klagte hiergegen. In der ersten
Instanz zog das Finanzgericht die Richtsatzsammlung der Finanzverwaltung heran
und legte einen Rohgewinnaufschlagsatz von 300 % zugrunde, so dass die Klage
nur teilweise Erfolg hatte. Hiergegen legte die Klägerin Revision beim BFH ein.
Entscheidung: Der BFH hat nun
das BMF zum sog. Beitritt zum anhängigen Revisionsverfahren aufgefordert, damit
das BMF das Zustandekommen der Richtsatzsammlung erläutern kann:
Zwar kann das Finanzamt bei fehlender Ordnungsmäßigkeit der
Buchführung eine Schätzung vornehmen, und zwar auch durch einen sog. äußeren
Betriebsvergleich, bei dem der Betrieb des Steuerpflichtigen mit den Betrieben
anderer Unternehmer und den dort üblichen Rohgewinnaufschlägen verglichen wird.
Ein derartiger Betriebsvergleich aufgrund der amtlichen Richtsatzsammlung ist
von der Rechtsprechung bislang grundsätzlich als Schätzungsmethode anerkannt
worden.
Allerdings ist von der Rechtsprechung bislang noch nicht geklärt,
auf welchen Grundlagen und Parametern die Richtsätze beruhen, wie sie zustande
kommen und ob dies ggf. die Tauglichkeit eines äußeren Betriebsvergleichs
beeinträchtigen könnte.
Das BMF soll daher Stellung zu den Fragen nehmen,
-
welche Einzeldaten mit welchem Gewicht in die Ermittlung der
Richtsätze einfließen, wie die Repräsentativität der Daten sichergestellt wird
und ob es Einzeldaten gibt, die von vornherein ausgeschlossen werden, -
ob die regional zum Teil unterschiedlichen Fixkosten für z. B.
Miete und Personal der Festlegung bundeseinheitlicher Richtsätze
entgegenstehen, -
weshalb die Ergebnisse von Außenprüfungen bei Verlustbetrieben
unberücksichtigt bleiben, obwohl auch Verlustbetriebe grundsätzlich einen
positiven Rohgewinnaufschlagsatz ausweisen und -
ob erfolgreiche Einsprüche gegen Änderungsbescheide, die
aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, in die Richtsatzsammlung
eingehen.
Außerdem ist bislang unklar, wie dem Steuerpflichtigen ermöglicht
werden kann, dass er das Ergebnis eines äußeren Betriebsvergleichs auf der
Grundlage der amtlichen Richtsatzsammlung, insbesondere auch die Daten, die in
die Richtsatzsammlung einfließen, nachvollziehen und überprüfen kann.
Hinweise: Aufgrund des
Beitrittsbeschlusses erhält das BMF jetzt eine beteiligtenähnliche
Prozessstellung und ist gefordert, an der Aufklärung der vom BFH aufgeworfenen
Fragen mitzuwirken. Ob der BFH die amtliche Richtsatzsammlung anerkennen wird
oder ob er künftig höhere Anforderungen an die Datensammlung und Transparenz
der Richtsatzsammlung stellen wird, ist derzeit offen.
Für die Steuerpflichtigen ist der Beitrittsbeschluss grundsätzlich
positiv, weil die Anwendung der Richtsatzsammlung in der Praxis häufig zu hohen
Hinzuschätzungen führt.
Quelle: BFH, Beschluss v. 14.12.2022 – X R 19/21;
NWB