Kosten für künstliche Befruchtung bei Gefahr einer schweren
Behinderung7. March 2022
Eine Frau kann die Kosten für eine künstliche Befruchtung und
Präimplantationsdiagnostik als außergewöhnliche Belastung absetzen, wenn ihr
Freund an einer chromosomalen Translokation leidet und deshalb die
Wahrscheinlichkeit der Geburt eines Kindes mit schwersten Behinderungen
besteht. Der steuerliche Abzug setzt voraus, dass die Frau die Kosten getragen
hat. Es ist steuerlich unbeachtlich, dass das Paar nicht verheiratet ist.
Hintergrund: Außergewöhnliche
Belastungen können steuerlich geltend gemacht werden. Dabei handelt es sich um
Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen zwangsläufig entstehen, und zwar in
einem größeren Umfang als der überwiegenden Anzahl der Steuerpflichtigen. Ein
typisches Beispiel sind Krankheitskosten oder Schäden infolge einer
Naturkatastrophe.
Sachverhalt: Die unverheiratete
Klägerin hatte einen Freund, der an einer chromosomalen Translokation litt, die
im Fall einer Schwangerschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führte, dass
das Kind mit schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen geboren wird.
Beide entschlossen sich dazu, eine künstliche Befruchtung mit einer
Präimplantationsdiagnostik durchzuführen; auf diese Weise sollte die
chromosomale Fehlstellung ausgeschlossen werden. Die Kosten für die Behandlung
beliefen sich auf ca. 23.000 € und wurden von der Klägerin im Umfang von
ca. 9.300 € getragen; den anderen Teil hatte ihr Freund bezahlt.
Das Finanzamt erkannte die Kosten nicht als außergewöhnliche Belastungen an,
weil die Klägerin nicht verheiratet und weil sie nach Auffassung des Finanzamts
nicht krank war.
Entscheidung: Das
Niedersächsische Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt und erkannte
die Behandlungskosten in Höhe von 9.300 € sowie in Höhe von ca. 650
€ für Fahrtkosten an:
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Zu den steuerlich abziehbaren Krankheitskosten gehören auch
solche Aufwendungen, die nicht der Heilung dienen, sondern lediglich einen
körperlichen Mangel ausgleichen sollen; hierzu gehören auch Kosten für eine
künstliche Befruchtung, da der körperliche Mangel selbst – die
chromosomale Translokation – durch die künstliche Befruchtung nicht
beseitigt wird. -
Es ist steuerlich unbeachtlich, dass nicht die Klägerin,
sondern ihr Freund krank ist und an einer chromosomalen Translokation leidet.
Denn im Fall des Kinderwunsches betrifft diese Erkrankung auch die Klägerin. -
Dem Abzug als außergewöhnliche Belastungen steht nicht
entgegen, dass die Klägerin und ihr Freund nicht verheiratet waren. Der
Bundesfinanzhof (BFH) hat bereits entschieden, dass die Kosten für eine
künstliche Befruchtung auch im Fall einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft und
auch im Fall einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft geltend gemacht werden
können. -
Allerdings kann die Klägerin nur diejenigen Aufwendungen
steuerlich geltend machen, die sie auch selbst
getragen hat. Denn nur insoweit ist sie wirtschaftlich mit
den Aufwendungen belastet. Dies war ein Betrag von 9.300 €; den
verbleibenden Teil der Aufwendungen hat der Freund der Klägerin getragen. -
Ein Abzug der von ihrem Freund getragenen Aufwendungen unter
dem Gesichtspunkt des Abzugs geschenkter Geldbeträge oder des abgekürzten
Zahlungswegs kommt nicht in Betracht, weil beide Steuerpflichtige – die
Klägerin und ihr Freund – die Behandlungskosten als außergewöhnliche
Belastungen geltend machen konnten. -
Schließlich waren auch die Fahrtkosten der Klägerin zum
Kinderwunschzentrum als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen. Soweit
die Klägerin nicht allein zum Kinderwunschzentrum, sondern zusammen mit ihrem
Freund gefahren ist, können die Fahrtkosten zur Hälfte abgezogen werden, im
Übrigen vollständig.
Hinweise: Von den
außergewöhnlichen Belastungen ist noch die zumutbare Eigenbelastung abzuziehen,
deren Höhe vom Familienstand und der Höhe des Gesamtbetrags der Einkünfte
abhängt.
Wäre die Klägerin mit ihrem Freund verheiratet gewesen, hätte der
Gesamtbetrag von ca. 23.000 € als außergewöhnliche Belastungen geltend
gemacht werden können; denn bei Ehegatten kommt es nicht darauf an, wer die
Aufwendungen trägt.
Gegen das Urteil des FG ist Revision beim BFH eingelegt worden.
Niedersächsisches FG, Urteil v. 14.12.2021 – 6 K 20/21, Rev. beim
BFH: VI R 2/22