Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur
umsatzsteuerlichen Organschaft I27. December 2022
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat zwei Grundsatzentscheidungen
zur umsatzsteuerlichen Organschaft gefällt. In der ersten Entscheidung
bestätigt er im Grundsatz die deutschen Regelungen zur umsatzsteuerlichen
Organschaft und die Besteuerung nur des Organträgers. Für eine finanzielle
Eingliederung genügt eine Mehrheitsbeteiligung des Organträgers an der
Organgesellschaft, ohne dass es einer Stimmrechtsmehrheit bedarf. Jedoch bleibt
unklar, ob der EuGH Leistungen einer Organgesellschaft an den Organträger als
umsatzsteuerbar ansieht und nicht umsatzsteuerbare Innenumsätze ablehnt.
Hintergrund: Eine
umsatzsteuerliche Organschaft liegt vor, wenn ein Unternehmen
(Organgesellschaft) organisatorisch, wirtschaftlich und finanziell in ein
anderes Unternehmen (Organträger) eingegliedert ist. Die Umsätze des
Organträgers und seiner Organgesellschaft(en) werden dann zusammengefasst und
nur vom Organträger versteuert, der auch die Vorsteuer der Organgesellschaften
geltend macht. Die Organgesellschaft(en) treten gegenüber dem Finanzamt also
nicht auf, weil der Organträger ihre Umsätze versteuert und ihre Vorsteuern
abzieht.
Sachverhalt: Die Klägerin war
die Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie GmbH, die zwei Gesellschafter hatte:
zum einen die A, die im Streitjahr 2005 Anteile im Umfang von 51 % hielt und
sieben Stimmrechte hatte, sowie den C-Verein, der 49 % hielt und ebenfalls
sieben Stimmrechte hatte. Das Finanzamt verneinte mangels Stimmenmehrheit der A
eine finanzielle Eingliederung der Klägerin in das Unternehmen der A und
verneinte damit auch eine umsatzsteuerliche Organschaft zwischen der Klägerin
und der A. Es unterwarf deshalb die von der Klägerin an A sowie an Dritte
erbrachten Leistungen der Umsatzsteuer. Der Fall kam zum Bundesfinanzhof (BFH),
der ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH richtete und wissen wollte, ob
bei einer Organschaft zu Recht nur der Organträger in Anspruch genommen wird
oder ob stattdessen die sog. Mehrwertsteuergruppe, d.h. die Personen und
Gesellschaften der Organschaft, die Umsatzsteuer abführen muss.
Entscheidung: Der EuGH
bestätigte im Grundsatz die umsatzsteuerliche Organschaft:
-
Der deutsche Gesetzgeber darf bei einer Gruppe von Personen
bzw. Gesellschaften, die wirtschaftlich, finanziell und organisatorisch eng
miteinander verbunden sind, die Umsatzsteuer allein gegenüber dem Organträger
festsetzen. Gerechtfertigt ist dies jedenfalls dann, wenn der Organträger in
der Lage ist, seinen Willen bei den Organgesellschaften durchzusetzen. Die
Organschaft darf auch nicht zur Gefahr von Steuerverlusten
führen. -
Die finanzielle Eingliederung der Klägerin in das Unternehmen
der A dürfte zu bejahen sein. Denn für eine finanzielle Eingliederung ist eine
Mehrheitsbeteiligung an der Organschaft ausreichend, und die A hielt 51 % der
Anteile. Die finanzielle Eingliederung verlangt nicht, dass der Organträger
zusätzlich zur Mehrheitsbeteiligung noch eine Stimmenrechtsmehrheit hat. Daher
steht es der Organschaft nicht entgegen, dass die A nur sieben von 14
Stimmrechten hatte, also lediglich die Hälfte. -
Es erscheint allerdings nicht zwingend, dass die Leistungen
der Klägerin an die A nicht umsatzsteuerbare Innenumsätze sind. Trägt die
Organgesellschaft die wirtschaftlichen Risiken, die sich aus ihrer Tätigkeit
ergeben, selbst, spricht dies für eine Selbständigkeit, so dass es auch
gerechtfertigt sein kann, dass die Organgesellschaft dann auch Umsatzsteuer
abführen muss.
Hinweise: Im Grundsatz hat der
EuGH die deutschen Regelungen zur umsatzsteuerlichen
Organschaft bestätigt: Der Organträger schuldet die
Umsatzsteuer, während die Organgesellschaften bzw. die Mehrwertsteuergruppe
nicht Steuerschuldner sind. Außerdem haftet der Organträger für die
Umsatzsteuern, die durch die Leistungen der Organgesellschaften verursacht
werden.
Präzisiert hat der EuGH das Kriterium der
finanziellen Eingliederung, indem es nicht auf die
Stimmenmehrheit ankommt, sondern eine Mehrheitsbeteiligung genügt.
Nicht deutlich sind jedoch die Ausführungen zur möglichen
Umsatzsteuerschuld der Klägerin, soweit sie ein wirtschaftliches Risiko
getragen hat. Bislang geht man nach deutschem Recht davon aus, dass die
Organgesellschaft in keinem Fall Umsatzsteuer schuldet: Die Leistungen der
Organgesellschaft an Dritte werden vom Organträger versteuert, und die
Leistungen der Organgesellschaft an den Organträger werden als nicht
umsatzsteuerbare Innenumsätze behandelt. Hier muss man nun auf die Entscheidung
des BFH warten, der das Verfahren fortführen muss.
Quelle: EuGH, Urteil v. 1.12.2022 – Rs. C-141/20 (Vorlagebeschluss
des XI. Senats des BFH – XI R 16/18); NWB